Eine Frage ICH?

Der Versuch Fuß zu fassen im eigenen Leben. Wird es ihr diesmal gelingen?
Oder steckt sie wieder in der Falle?
Sie kreist die Verluste grün und rot ein. Übermalt sie gelb, denn sie will nicht betrügen. Diesmal nicht. Diesmal will sie den Punkt als ein Hier und ein Jetzt genau bestimmen.
Denn sie möchte ankommen. Endlich. Koste, was es wolle.
Und: Diesmal wird sie nicht wieder barfuß ins Glas treten! Auch deshalb will sie den Moment festhalten, da sie den Boden berührt.
Unbedingt.
Sie greift nach einer Digitalkamera. Ein Foto ist der sicherste Beweis, dass der Augenblick stattfindet, hat sie gehört. Birgt es doch als Dokument seiner selbst Unwiederholbarkeit in sich und wird überdauern.
Die Zeit davor und die danach!
Denn das war es doch, was fehlte beim letzten Versuch ankommen wollen: Doch: Was heißt nur?
Die nicht rückgängig zu machende Gültigkeit und sei es nur die eines fotografischen Abbildes.
Sie knipst und knipst. Foto um Foto. Tage und Wochen. Doch je mehr Bilder sie speichert, je mehr spürt sie, sie kommt nicht weiter.
Die Grenzen des geronnenen Augenblicks versperren ihr die Sicht und damit den Weg.
Sie will, was eigentlich nicht geht: Dynamik in der Fotografie.
Daher besteigt sie einen Zug und fährt.
Die Fahrtgeschwindigkeit wird das Geronnensein von Raum und Zeit im Fotografischen schon wieder aufheben.
Kreuz und quer fährt sie durch das Land, das ihr Heimat werden soll. Sie fährt sich ein. Die Grenzen werden wieder fließend.
Endlich! Neue Möglichkeiten.
Sie wechselt vom Fernzug zum Auto – der Perspektive wegen. Sind doch der Blick und damit die Maßverhältnisse aus einem fahrenden Auto noch einmal andere. Sie schießt Foto um Foto, bis sie merkt: Schon wieder ist sie auf der Flucht! Dabei wollte sie doch ankommen.
Von Woher fragt sie nicht mehr. Darauf gibt es keine Antwort. Jedenfalls nicht für sie. Also Wohin?
Sie greift zurück auf Gewohntes – auf ihre Farben und bemalt die Fotos. Dabei kommt ihr die erlösende Idee: Sie nimmt die digitalen Bilder und gibt sie ein in ihren Laptop. Schöne neue Welt des Bildschirms. Endlich kann sie wirklich wieder eingreifen.

Anythings goes im weltweiten Netz.
Die Distanz zwischen sich und sich überwinden. Augen zu und springen. Notfalls mit dem Fallschirm aus dem weltweiten Netz,
um anzukommen zwischen Ich und Ich. Auf dem sandigen Boden Brandenburgs. Warum nicht?
Ich bin Ich. Und als Ich und setze ich dem Ich ein Tat-Ich entgegen hat sie gelesen – vor Jahren bei
Johann Gottlieb Fichte, dem Philosophen und Professor in Jena, „Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung.“ Erst jetzt kann sie diesen Satz für sich nutzbar machen, um Fuß zu fassen im eigenen Leben.
Laufend das Fremde übergehen.

Rita Kuczynski Berlin, 2010