Paradise Lost (Das verlorene Paradies)
Birgit Borggrebes Bilder geben die Hoffnung auf ein Paradies nicht ganz auf

Seit Menschengedenken flüchtet sich die Fantasie ins Paradies. Wenn irdische Träume zerplatzen, verspricht ein jenseitiger Ort Erlösung aus dem tristen Dasein. Deshalb spielen die meisten Religionen mit der Projektion ewigen Wohllebens in einer himmlischen Sphäre. Viele Künstler hat die Fantasie eines Sehnsuchtsortes ebenfalls beflügelt, auch wenn Hölle und Verdammnis meist die spannenderen Themen waren. Jan Brueghel der Ältere ließ die Arche Noah im Paradies stranden, Hieronymus Bosch zeigte das irdische Paradies als kleinteiliges Wimmelbild und Albrecht Dürer schnitzte Adam und Eva kurz vor der Vertreibung, die den prekären Raum für immer verschwinden lässt.

Die Bilder von Birgit Borggrebe mit dem Titel „Alles was passiert-jetzt / Erfindungen vom Paradies“  befinden sich in einer fragilen Schwebe aus Verheißung und Bedrohung. Technisch sind die Werke eine raffinierte und sehr arbeitsaufwendige Kombination aus mit Öl auf Leinwand gemaltem Hintergrund und darauf  zumeist mit Siebdruck oder anderen Techniken applizierten Motiven. Sie zeigen eine Welt, die ein unabhängiger Betrachter nicht unbedingt als Paradies benennen würde. Wölfe, Hochhausschemen, Flugzeugbomber und Baugerüste sind dort zu sehen, auch die Silhouetten von Trabantenstädten. Verwischte Rudimente von Zeichnungen tauchen auf, einige Schriftzeichen schweben vor utopischen Landschaften, ein Flugzeug, das wie ein B-52 Bomber anmutet, steigt auf.

In der Postmoderne, nach dem Zerbrechen des naiven Fortschrittsglaubens den die Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts mit sich brachte, kann der Gedanke an eine unbescholtene Sphäre ewiger Harmonie nicht länger bestehen. Zwar gibt es noch die Ahnung einer Ausflucht aus den apokalyptischen Meldungen, die uns täglich mit den Nachrichten erreichen. Aber der lebendige Glaube daran, dass sich das Weltgeschehen zum endgültig Guten wende, ist erloschen. Die Bilder vom Paradies haben einen bitteren Beigeschmack bekommen. Wo Fukushima einmal mehr die Hybris menschlicher Allmachtsfantasien verdeutlicht, wo Überschwemmungen und Stürme vermuten lassen, dass der Mensch seine Umwelt so nachhaltig traktiert hat, dass sie sich gegen ihn wendet, da würde ein ungebrochenes Bild vom Paradies naiv erscheinen. Dem tragen die Bilder von Birgit Borggrebe Rechnung. Sie zeigen einen lädierten, bedrohten Raum.

Dennoch hat der Titel der Serie seine Berechtigung. Denn hinter den Rudimenten wahrnehmbarer und aufgrund seiner fotorealistischen Wiedergabe erkennbarer Realität liegen zumeist unscharf konturierte Untergründe. Deren verschiedene Schichten lassen einen weitgehend bruchlosen Klang vernehmen.

Gelegentlich eingestreute Verlaufsformen kontrastieren mit weichen Schemen, die wie in Nebel getaucht wirken. Hart konturierte Formen stehen mit scherenschnittartiger Schärfe vor der unbestimmten Weite des Hintergrundes. Frei schwebende Linien lassen eine Beschäftigung Birgit Borggrebes mit den lyrischen Elementen der Kompositionen Cy Twomblys erkennen und bringen so auch einen poetischen Klang in die Bilder.

So entsteht ein Wechselspiel zwischen einer offenkundig im Hier und Jetzt pulsierenden Oberfläche, die von spannungsreichen Zeichen durchwoben ist und der Atmosphäre der Bilder, die letztlich doch durch das umfassende Bildganze in einen harmonischen Rahmen eingefasst wird. Trotz zunächst disparat anmutenden Elemente der Bilder findet die Künstlerin zu einem Bildganzen, das möglicherweise gerade in seiner Vielfältigkeit ein Spiegelbild gegenwärtiger Realität ist.

zum Zyklus „Alles, was passiert – jetzt.“ von Richard Rabensaat, Berlin 2011